Der Gesetzgeber hat mit dem am 02.07.2009 beschlossenen Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts einige Modernisierungen und Vereinheitlichungen vor allem im Bereich des Pflichtteilsrechts herbeigeführt. Die Änderungen treten am 01.01.2010 in Kraft, wirken also für alle Erbfälle, die nach diesem Zeitpunkt eintreten. Sie stärken nicht zuletzt die Testierfreiheit des Erblassers.
1. Pflichtteilsergänzungsrecht
Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten an einen Dritten bewirkt, können bei einem Pflichtteilsberechtigten im Erbfall zu einem Ergänzungsanspruch hinsichtlich des ihm zustehenden Anteils am Nachlass führen. Sonst könnte der Erblasser allzu leicht durch unentgeltliche Zuwendungen sein Vermögen verringern, um den Pflichtteilsberechtigten leer ausgehen zu lassen. Der Berechtigte soll daher rechnerisch so gestellt werden, als wäre die Schenkung des Erblassers an den Dritten gar nicht erfolgt. Dabei gilt allerdings eine zeitliche Grenze: Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor Eintritt des Erbfalls vorgenommen wurden, dürfen bei dem Ergänzungsanspruch nicht mehr berücksichtigt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass nach Ablauf dieses Zeitraums in der Hand des Beschenkten eine wesentliche Vermögensminderung eingetreten ist, welche sich vergleichbar auch bei dem Erblasser ergeben hätte, wenn die Zuwendung in seinem Vermögen verblieben wäre. Zudem hat der Erblasser den Vermögensverlust selbst über einen langen Zeitraum gespürt, weswegen es sachgerecht ist, dessen Wirkungen auch in seinem Nachlass weiterzugeben.
Bisher galt jedoch die 10-Jahres-Grenze im Rahmen eines Alles-oder-Nichts-Prinzips: Was innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall verschenkt wurde, musste bei dem Ergänzungsanspruch voll berücksichtigt werden. Ältere Schenkungen aber blieben gänzlich von der Betrachtung ausgenommen. Der Gesetzgeber hat sich nunmehr mit einem zeitlich abgestuften Modell für eine differenziertere Regelung entschieden: Der zu berücksichtigende Anteil nimmt mit jedem Jahr ab, das zwischen Schenkung und Erbfall liegt. Schenkungen innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall werden daher voll berücksichtigt, Schenkungen innerhalb des zweiten Jahres nur noch zu 9/10 usw., bis dann mit dem Verstreichen der 10-Jahres-Frist zwischen Schenkung und Erbfall keine Berücksichtigung mehr stattfindet. Damit wird in Zukunft vermieden, dass es im Grenzbereich der Ausschlussfrist zu willkürlichen Ergebnissen kommt.
2. Ausschlagungsrecht beim beschränkten oder beschwerten Pflichtteil
Wer als Erbe und gleichzeitig Pflichtteilsberechtigter durch die letztwillige Verfügung in seinem Erbteil mit einer Beschränkung oder Beschwerung belastet war, konnte bisher nur dann den Pflichtteil fordern, wenn er das Erbe ausschlug und der hinterlassene Erbteil größer als dieser Pflichtteil war. Das stellte den Erben vor ein zeitliches Problem, da die Ausschlagung des Erbes nur innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis erfolgen kann, diese Frist allerdings häufig nicht ausreicht, um zuverlässig den genauen Wert des hinterlassenen Erbteils zu ermitteln. Daher sieht das neue Recht ein Wahlrecht des pflichtteilsberechtigten Erben zwischen Erb- und Pflichtteil vor, unabhängig vom Wert des Erbteils. Schlägt er aber nicht aus, so muss er das Risiko in Kauf nehmen, dass die Belastungen und Beschwerungen im Ergebnis zu einem Erbteil führen, der geringer ist als der Pflichtteil.
3. Entziehung des Pflichtteils
Der Pflichtteil kann dem Berechtigten durch den Erblasser nur unter besonders engen Voraussetzungen entzogen werden. Damit ist eine nicht unerhebliche Einschränkung der Testierfreiheit verbunden. Diese soll nunmehr in gewisser Weise gestärkt werden, weshalb der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Entziehung neu gefasst, vereinheitlicht und teilweise gelockert hat. Zunächst wird in Zukunft vom Gesetz nicht mehr danach differenziert, ob einem Abkömmling oder dem Ehegatten der Pflichtteil entzogen werden soll. Weiterhin wurden die einzelnen Gründe für eine Entziehung überarbeitet: Eine solche soll in Zukunft auch möglich sein, wenn der Pflichtteilsberechtigte nahen Angehörigen oder ihnen vergleichbaren Personen nach dem Leben trachtet oder sie körperlich schwer misshandelt. Gegenwärtig ermöglicht das BGB dies nur bei Angriffen auf den Erblasser selbst, seinen Ehe- oder Lebenspartner oder seine Kinder. Sie kann jedoch nicht mehr darauf gestützt werden, dass der Berechtigte einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel führt; insofern haben sich die moralischen Wertvorstellungen der Gesellschaft derart verändert, dass hierfür kein objektiver Maßstab mehr zur Verfügung steht. Stattdessen stellt künftig eine vorsätzliche begangene Straftat des Berechtigten, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung geführt hat, einen Entziehungsgrund dar, wenn es dem Erblassers unzumutbar ist, dem so bestraften Erben seinen Pflichtteil zu belassen.
4. Stundung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten
Der Anspruch auf den Pflichtteil ist ein Geldanspruch. Er entsteht mit dem Tod des Erblassers und wird gleichzeitig fällig. Der Erbe muss daher oftmals einen Kredit aufnehmen oder Sachwerte verkaufen, um den Berechtigten auszahlen zu können. Eine Möglichkeit, diese Belastung zu verringern, sieht der Gesetzgeber durch die Stundung des Pflichtteils vor. Der Erbe muss dann nicht sofort den vollen Betrag auszahlen, sondern kann beispielsweise angemessene Ratenzahlungen entrichten. Bisher sah das Gesetz diese Möglichkeit allerdings nur unter sehr strengen Voraussetzungen vor. Sie bestand nur für solche Erben, die selbst grundsätzlich pflichtteilsberechtigt wären, also für Abkömmlinge, Eltern oder Ehegatten des Verstorbenen. Nach neuer Rechtslage kann jeder Erbe die Stundung verlangen. Zusätzliche Voraussetzung war bisher eine „ungewöhnliche Härte“ für den Erben; künftig soll eine „unbillige Härte“ unter Berücksichtigung der Interessen des Pflichtteilsberechtigten ausreichen, womit ebenfalls eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift verbunden ist. Auf die Zumutbarkeit der Stundung aus dem Blickwinkel des Pflichtteilsberechtigten wird nicht mehr abgestellt.
5. Vereinheitlichung von Verjährungsvorschriften
Künftig unterliegen auch erbrechtliche Ansprüche- die Herausgabeansprüche gem. § 2018, 2130 und 2362 BGB ausgenommen- der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB. Dies gilt auch für Pflichtteilsansprüche.
Tanja Stier
Rechtsanwältin