Im Erbrecht muss zwischen den Begriffen „ Ausgleichung“ und „Anrechnung“ unterschieden werden.
Die Anrechnung auf den Pflichtteil ist in § 2315 BGB geregelt und mindert den Pflichtteilsanspruch. Die Anrechnung auf den Pflichtteil führt demnach zu einer Entlastung des Erben.
Die Ausgleichung hingegen ist in § 2316 BGB geregelt und hat eine Umverteilung der Pflichtteilslast unter den Pflichtteilsberechtigten zur Folge. Mit einer Ausgleichung sollen die Erben gerade nicht begünstigt werden. Weiterhin ist für die Ausgleichung charakteristisch, dass nur Abkömmlinge des Erblassers betroffen sind. Im Gegensatz hierzu kann die Anrechnung jeden Pflichtteilsberechtigten treffen.
Oftmals werden die Begriffe nicht eindeutig verwendet, so dass es zu Problemen kommen kann, was der Erblasser tatsächlich gewollt hat.
Mit dieser Problematik hatte sich das OLG Schleswig zu befassen.
Der Entscheidung des OLG Schleswig lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Erblasser hatte seiner einzigen Tochter einen Geldbetrag in Höhe von DM 100.000,00 geschenkt. Gleichzeitig hatte er der Tochter einen Brief zukommen lassen, in dem er erklärte, dass er ihr das Geld unter Anrechnung auf den späteren Erbanteil für den Hausbau schenken wolle. In einem Testament hatte der Erblasser seine zweite Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt und bestimmt, dass seine Tochter die bereits erhaltenen DM 100.000,00 auf ihren Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen müsse. Die Tochter erhob nach dem Tod ihres Vaters eine Pflichtteilsklage gegen die Alleinerbin.
Das OLG Schleswig entschied, dass der Erblasser keine Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB getroffen hat. Gebraucht der Erblasser bei einer lebzeitigen Zuwendung die Formulierung, diese solle auf den Erbanteil angerechnet werden, so gehe die ständige Rechtssprechung davon aus, dass keine Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB vorliege. Vielmehr könne der Erblasser damit gemeint haben, dass der Zuwendungsempfänger eine Ausgleichung nach den §§ 2050 ff. BGB vornehmen müsse.
Dies ist nachvollziehbar, denn die Anrechnung auf den Pflichtteil ist für den Empfänger deutlich belastender als lediglich die Anrechnung auf den Erbteil, schließlich beträgt der Pflichtteil ohnehin nur die Hälfte des im Wege der gesetzlichen Erbfolge vorgesehehen Betrages. Wenn der Erblasser sich diesbezüglich nicht ausreichend deutlich geäußert hat, so ist im Zweifel von der vollen Pflichtteilsberechtigung auszugehen
Im Übrigen könnten nur besondere Umstände dazu führen, die vorliegende Formulierung als Anrechnungsbestimmung auf den Pflichtteil zu verstehen. Darüber hinaus hätte dies dem Zuwendungsempfänger, in diesem Fall der Tochter auch bewusst sein müssen. Hinzu kommt, dass eine Anrechnungsbestimmung unwirksam ist, wenn sie erst nachträglich in einem Testament getroffen wurde.
Bereits das OLG Karlsruhe kam in einem ähnlichen Fall zu dem Ergebnis, dass die Formulierung keine Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB darstelle.
Ob man die gebrauchte Formulierung als Ausgleichungsbestimmung nach § 2050 BGB auslegen konnte, spielte im vorliegenden Fall keine Rolle. Die Tochter war nämlich das einzige Kind des Erblassers. Die Ausgleichung des § 2050 BGB ist jedoch nur unter mehreren Abkömmlingen des Erblassers anzuwenden, so dass die Anwendung des § 2050 BGB im vorliegenden Fall von vorneherein ausscheidet.
Tanja Stier
Rechtsanwältin