Der Erblasser hat neben zahlreichen anderen Möglichkeiten die Option, einen Vorerben sowie einen Nacherben zu bestimmen. Hierdurch kann der Erblasser die Weitergabe seines Vermögens über mehrere Generationen hinweg bestimmen.
Entscheidet sich der Erblasser für die Vor- und Nacherbschaft, so erlangt der Vorerbe beim Erbfall, also dem Tod des Erblassers, den Erbteil zunächst persönlich. Bei dem Tod des Vorerben fällt jedoch das Erbe nicht den Erben des Vorerben zu, sondern dem zuvor vom Erblasser bestimmten Nacherben. Für die Nacherbfolge ist es demnach charakteristisch, dass es eine zeitliche Aufeinanderfolge verschiedener Erben desselben Erblassers hinsichtlich derselben Erbschaft gibt. Da der Erblasser jedoch oftmals nicht die Formulierung Vor- und Nacherbschaft in seiner letztwilligen Verfügung verwendet hat, muss die letztwillige Verfügung in vielen Fällen ausgelegt werden. Hier kann es jedoch zu Problemen der Abgrenzung zwischen der Vor- und Nacherbschaft und anderen verwandten Rechtsinstituten kommen.
1. Vollerbeinsetzung
Auch dann, wenn der Erblasser Formulierungen wie „Alleinerbe“, „Vollerbe“ oder Universalerbe“ verwendet, kann er eine Vor- und Nacherbschaft gewollt haben. Maßgeblich ist insoweit, ob der Erblasser zum Ausdruck gebracht hat, dass er den mindestens zweimaligen Anfall der Erbschaft wünscht. Haben sich hingegen Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und soll eine dritte Person zum Erben nach dem Tod des überlebenden Ehepartners werden, so bestimmt die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1BGB, dass im Zweifel eine Vollerbeinsetzung gewollt war. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Person, die am längsten lebt, als „Nacherbe“ bezeichnet wurde.
2. Nießbrauchvermächtnis:
Die Rechtssprechung musste sich bei auslegungsbedürftigen letztwilligen Verfügungen bereits oftmals mit der Abgrenzung der Vor- und Nacherbfolge zum Nießbrauchvermächtnis befassen und hat deshalb zur Klärung der Frage, wann letzteres vorliegt, einige Kriterien herausgebildet.
Bestimmt der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung, dass der Bedachte unmittelbar mit dem Todesfall dinglicher Vermögensinhaber werden soll, nimmt man an, dass eine Vorerbenstellung bezweckt war. Muss der Bedachte jedoch erst vom Erben verlangen, dass ihm ein Nießbrauch am Nachlass eingeräumt wird, spricht einiges für ein Nießbrauchvermächtnis.
Anhand des Umfangs der Nutzungsberechtigung kann keine Abgrenzung zwischen Vor- und Nacherbschaft und dem Nießbrauchvermächtnis angenommen werden, da der Erblasser die Verfügungsbeschränkung des Vorerben gem. §§ 2112 ff. BGB beliebig sowohl erweitern als auch beschränken kann. Ist dem Begünstigten jedoch keinerlei Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt, so kann von einem Nießbrauchvermächtnis ausgegangen werden.
Weiterhin kann als Auslegungskriterium die Tatsache herangezogen werden, dass das Nießbrauchsvermächtnis in steuerrechtlicher Hinsicht vorteilhafter als die Vor- und Nacherbschaft ist. Bei dem Nießbrauchsvermächtnis fällt nämlich die Erbschaftsteuer im Unterschied zur Vor- und Nacherbfolge nur einmal an.
Schlussendlich kann auch der Haftungsmaßstab für die Frage entscheidend sein, ob eine Vor- und Nacherbschaft oder ein Nießbrauchvermächtnis gewollt war. Der Nießbrauchvermächtnisnehmer muss die wirtschaftliche Bestimmung des dem Nießbrauch unterfallenden Gegenstandes und die Nachlasssubstanz erhalten, wofür er auch haftet. Der Vorerbe muss im Gegensatz zum Nießbraucher lediglich die wertmäßige Substanz des Nachlasses gewährleisten. Er haftet jedoch nicht für den Erhalt konkreter Nachlassgegenstände.
3. Vor- und Nachvermächtnis
Im Unterschied zu der Vor- und Nacherbschaft, bei der der Nacherbe den Nachlass kraft Gesetz erhält, steht dem Nachvermächtnisnehmer gegen den Vorvermächtnisnehmer lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch zu. Der wichtigste Unterschied zwischen Vor- und Nacherbschaft ist jedoch der, dass sich die Vor- und Nacherbschaft auf den Nachlass im Ganzen oder auf Erbquoten bezieht, das Vor- und Nachvermächtnis bezieht sich dagegen lediglich auf einzelne oder mehrere konkret benannte Gegenstände.
Tanja Stier
Rechtsanwältin