Es gibt ein vielfältiges Bündel an Absichten, die eine vorweggenommene Erbfolge motivieren können.
Als Absicht 1 können erbschaftssteuerliche Überlegungen eine Rolle spielen. Im Wesentlichen geht es bei dieser Motivation darum, zwischen Eltern wechselseitig und Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern die alle 10 Jahre ausschöpfbaren Freibeträge gemäß § 14 ErbStG zu nutzen, um eine Erbschaftssteuerlast im Erbfall mit Blick auf die dann vorhandene Nachlasshöhe auszuschließen oder jedenfalls zu reduzieren. Fallbeispiel: Der 40-jährige A hat einen 20-jährigen Sohn B und sonst keine weiteren Verwandten. A hat ein Vermögen von 5 Mio. Euro. A ist sich sicher, dass B letztlich sein gesamtes Vermögen erhalten soll. Wenn A nichts unternimmt, kann B im Erbfall einmal den Freibetrag von 400.000,00 € ausschöpfen und wird ansonsten durch die Erbschaftssteuer belastet. A kann dies vermeiden, indem er alle 10 Jahre an den B € 400.000,00 überträgt. Das Risiko für den Übergeber liegt darin, dass er – vorbehaltlich einer entsprechenden vertraglichen Gestaltung – Vermögensteile verliert. Für den B besteht kaum ein Risiko. Denkbar ist lediglich, dass sich die erbschaftssteuerliche Gesetzgebung für ihn nachteilig ändert.
Im einkommensteuerlichen Bereich ist im Rahmen der Absicht 2 zu überlegen, ob einkommensteuerbare Vermögensteile zum Beispiel auf Kinder übertragen werden. Dies rechtfertigt sich mit Blick auf den Einkommensteuertarif gemäß § 32a EStG, der einen progressiven Verlauf nimmt. Das heißt, dass bei höheren Einkünften ein im Verhältnis zu niedrigeren Einkünften überdurchschnittlich hoher Einkommensteuertarif angewendet wird. Die Übertragung beispielsweise eine Mietshauses, aus dem Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG erwirtschaftet werden, auf ein Kind mit ansonsten keinem steuerbaren Einkünften führt dazu, dass der auf das Kind anwendbare Tarif deutlich niedriger liegen dürfte, als bei dem übertragenden Elternteil. Fallbeispiel: Der C hat ein Mietshaus und erwirtschaftet daneben noch einkommensteuerbare Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Steuerberater in erheblicher Höhe. Das Mietshaus soll letztlich seine erwachsene Tochter D erhalten, die als Studentin noch nichts verdient. C kann das Mietshaus zu Lebzeiten übertragen. Die nach § 21 Abs.1 EStG erzielten Einkünfte versteuert nun die D mit einem deutlich niedrigeren Tarif gemäß § 32a EStG, sodass insoweit deutlich weniger Einkommensteuer bezahlt wird. Das Risiko für den C liegt darin, dass er – vorbehaltlich einer entsprechenden vertraglichen Regelung – Vermögensteile verliert. Für beide Seiten kann es Nachteile mit Blick auf die Familienkrankenversicherung und das Kindergeld geben. Weiterhin trägt D nunmehr die zivilrechtlichen Vermieterrisiken.
Absicht 3 ist die sog. Schenkung aus warmer Hand, die letztlich ein Ausdruck der familiären Verbindung ist und durch eine Gestaltung zu Lebzeiten einen späteren Streitpunkt im Erbfall ausschließen möchte. Fallbeispiel: Die Eheleute E und F möchten ein sog. Berliner Testament mit wechselseitiger Alleinerbeneinsetzung und Schlusserbeneinsetzung des einzigen Kindes G errichten. Beide fürchten, dass der Sohn G im ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlangt und den überlebenden Ehepartner in Liquiditätsschwierigkeiten bringt. Um dies zu vermeiden, bieten ihm seine Eltern an, dass er eine Eigentumswohnung lebzeitig übertragen erhält. Hierfür erklärt der G einen notariellen Pflichtteilsverzicht. Das Risiko für die Übergeber liegt darin, dass dennoch nicht immer ein Streit vermieden werden kann und sich G nach dem Vermögenserhalt von seinen Eltern abwendet. Weiterhin droht mit Blick auf die nunmehr in Kraft getretene Regelung der EU zum internationalen Erbrecht die Gefahr, dass E und F einen Wohnsitz in einem EU-Staat begründen, der keinen Pflichtteilsverzicht kennt und G diesen dann geltend machen kann. Das Risiko für G liegt darin, dass er auf einen sehr starken Anspruch verzichtet und seine Schlusserbenstellung nur eine sog. Nackte Hoffnung darstellt. Eine weitere Absicht 4 kann in der Versorgung des Übergebers liegen und zwar insoweit, dass für die lebzeitige Übertragung eine Gegenleis-tung in Form einer Geld-, Sach- bzw. Dienstleistung vereinbart wird. Fallbeispiel: Die ältere Dame H möchte die zukünftige Pflege sicherstellen und verspricht der Nachbarin I, dieser für Pflegeleistungen die Immobilie zu Lebzeiten zu übertragen. I ist damit einverstanden. Um sich abzusichern, lässt sich die H ein Wohnrecht eintragen. Das Risiko für H besteht darin, dass I die Pflegeleistungen nicht erbringt und sie einen wesentlichen Vermögensteil verloren hat. Ggf. ist es H aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr möglich, die Immobilie klageweise zurückzufordern. Eine Veräußerung zur Sicherung des Liquiditätsbedarfs ist nicht möglich. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass I selbst verstirbt und die Pflegeleistungen nicht mehr erbringen kann. Ein weiteres Risiko liegt darin, dass H so stark pflegebedürftig wird, dass sie nicht mehr in der Immobilie leben kann und damit das Wohnrecht nicht mehr nutzen kann. Für I besteht das Risiko der ho-hen Schenkungssteuerlast, da sie in einem Verwandtschaftsverhältnis zu H steht.
Eine weitere Absicht 5 kann in der Reduzierung der Pflichtteils-ansprüche liegen, da mit Blick auf § 2325 BGB Vermögenswerte, die über 10 Jahre vor dem Erbfall übertragen worden sind, für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs außen vor bleiben, mit Blick auf Absatz 3 der benannten Vorschrift im Übrigen eine Abwertung des hinzuzurechnenden Wertes um jährliche 10% erfolgt. Fallbeispiel: Die J hat bis auf die ungeliebte Tochter K keine weiteren Verwandten und lebt seit vielen Jahren mit dem L in einer nichtehelichen Beziehung. Dieser soll letztlich ihr Erbe werden. Die K hat schon jetzt an gedroht, ihre Pflichtteilsansprüche schon jetzt geltend zu machen. Daraufhin überträgt die J dem L ihr Wohnhaus. Das Risiko für J besteht darin, dass mangels Eheschließung mit L auch für sie als Schenkerin eine hohe Schenkungssteuer anfällt. Zudem ist denkbar, dass L sie verlässt und sie einen erheblichen Vermögenswert verliert. L muss in dieser Situation das Risiko berücksichtigen, dass er im Erbfall den-noch für einen Zeitraum bis zu 10 Jahren die Schenkung im Rahmen der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der K mit berücksichtigen muss.
Eine Absicht 6 kann darin liegen, einen drohenden Sozialhilferegress zu vermeiden. Wird der spätere Erblasser bedürftig, kann sein Vermögen in den Grenzen des Sozialrechts nach SGB II und SGB XII heran-gezogen werden, soweit kein Schonvermögen, beispielsweise nach § 90 Abs.2 Nr. 8 SGB XII bzw. § 12 Abs.3 Nr.4 SGB II, besteht. Ist zu Lebzeiten übertragen worden, so kann das Vermögen vor dem Sozialhilferegress gesichert werden.
Als Absicht 7 ist umgekehrt der Blick auf die Existenz des Überneh-mers zu richten, die durch den Übertragungsvorgang gefördert werden soll, beispielsweise um ihm frühzeitig eine Einkommensquelle zu geben.